„So etwas wie nationale Hoffnung gibt es gar nicht, das ist vollkommen absurd.“

Liebe in Zeiten von Corona

Teresa Stiens sammelt neben ihrer Arbeit als Journalistin Geschichten über überraschend schöne Erlebnisse in Zeiten der Corona-Pandemie. Dafür hat sie in den Sozialen Medien einen mehrsprachigen Aufruf verbreitet. Die Antworten berichten von Schönem und Traurigem und erscheinen in regelmäßigen Abständen auf ihrer Website. Im Interview spricht sie über ihre Motivation und erste Reaktionen.

Frau Stiens, Sie haben einen Blog ins Leben gerufen, der „Geschichten der Liebe“ in Zeiten der Corona-Pandemie sammelt. Was hat Ihnen den Anstoß dafür gegeben?

Ich selbst hatte das Gefühl, mich sehr alleine zu fühlen in dieser Situation und musste mich daran erinnern, dass es vielen anderen gerade genauso geht. Außerdem habe ich immer wieder von vielen tollen Geschichten gehört, die gerade jetzt überall passieren. Mit dem Blog wollte ich anderen Menschen Zugang zu diesen Erzählungen geben und mich selbst kreativ etwas ausleben.

Den Aufruf, Ihnen solche Geschichten zuzusenden, haben Sie im den sozialen Medien verbreitet. Wie haben die Menschen darauf reagiert?

Viele fanden die Idee toll, aber nur wenige haben sich getraut, ihre Geschichten mit mir zu teilen. Ich habe häufig Sätze gehört wie „ich habe etwas Schönes erlebt, aber das ist bestimmt nicht wichtig genug“. Dabei sind es ja genau die alltäglichen Erlebnisse, die ich sammle. Ich bin mir sicher, dass wir alle solche Geschichten zu erzählen haben, wenn wir einmal darüber nachdenken, was wir in den letzten Wochen so erlebt haben. Genau das will ich verpacken und weitergeben: Geschichten, mit denen wir und alle identifizieren können.

Liebe kann vielseitig sein, das beschreiben Sie in Ihrem Aufruf. Welche Geschichten, welche Formen der Liebe haben Sie erreicht? Schöne? Traurige?

Ich würde sagen, dass alle Geschichten traurig sind und schön zugleich. Sie alle zeugen davon, wie wir überrascht wurden und uns hilflos fühlen, aber dann doch das Schöne im Traurigen entdecken. Spannend fand ich auch, wie viele Geschichten von ganz verschiedenen Menschen dabei sind. Von Jungen und Alten, Romanzen und Nachbarschaftshilfen. Das zeigt, dass wir eigentlich alle gerade sehr miteinander verbunden sind, auch wenn es sich vielleicht nicht so anfühlt.

Sie sprechen von Verbundenheit, Einsamkeit und einem radikalen Wandel der Gesellschaft. Digitale Kommunikation stellt dabei einen der Aspekte dar. Inwieweit lässt sich Liebe über diese erleben?

Natürlich würden wir uns alle wünschen, gerade jetzt mehr in den Arm genommen zu werden oder uns persönlich zu sehen. Ich glaube es ist trotzdem ein unglaublicher Segen, dass es das Internet gibt. Denn so können wir trotzdem kommunizieren und miteinander verbunden bleiben. Auch digital kann Liebe sehr schön sein, aber persönliche Treffen und Intimität ersetzt das Internet natürlich nicht. Aber vielleicht wissen wir das bald wieder mehr zu schätzen und legen mehr Wert auf das Analoge statt auf das Digitale. Das könnte ein schöner Nebeneffekt dieser schwierigen Zeit sein.

Aktuell müssen wir in vielen Bereichen einen Rückfall ins Nationale beobachten. Sie haben selbst in verschiedenen Ländern gelebt sowie gearbeitet und haben Ihren Aufruf bewusst mehrsprachig verbreitet. Warum brauchen wir Liebe und Hoffnung über Grenzen hinweg?

Liebe und Grenzen, das schließt sich doch gegenseitig aus. So etwas wie nationale Hoffnung gibt es gar nicht, das ist vollkommen absurd. Das Virus hält sich ja auch nicht an Ländergrenzen und genauso naiv wäre es zu vermuten, dass wir nur innerhalb einer Nation die gleichen Gefühle haben. Die Antworten auf meinen Aufruf haben das nur bestätigt, denn fast überall auf der Welt haben die Leute gerade die gleichen Sorgen und Ängste, aber auch Hoffnungen und unverhoffte Glücksmomente. Das sollte uns zu denken geben und uns die Notwendigkeit internationaler Solidarität vor Augen führen.

Welche weiteren Geschichten wünschen Sie sich für das Kapitel „Liebe in Zeiten von Corona“ im Geschichtsbuch?

Ich bin sehr gespannt auf alle Erlebnisse, von denen ich noch hören werde. Es ist für mich ja auch sehr aufregend, an den Leben anderer Menschen teilzuhaben. Am Ende schreiben wir dieses Kapitel selbst, ich fühle mich da eher als Chronistin, die das ganze dokumentiert. Ich wünsche mir viel Hilfe und Mitgefühl, aber ich denke, das passiert gerade überall schon. Die Geschichten, über die ich mich am allermeisten freuen würde, sind natürlich die über das „danach“, wenn die Menschen wieder frei sind. Wir alle wünschen uns ja, dass wir solche Geschichten bald erzählen können. Aber bis dahin werden wir uns wohl noch etwas gedulden müssen.

 

Teresa Stiens ist ausgebildete Journalistin und studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf internationalen  Beziehungen. Ihren Blog zu „Liebe in Zeiten von Corona“ betreibt sie neben ihrer beruflichen Tätigkeit.

Sie haben eine Geschichte, die Sie zum Blog Liebe in Zeiten von Corona beisteuern wollen? Dann schreiben Sie diese gerne an teresa.s.st@hotmail.com.