Energiewende sozial gerecht und naturverträglich

  • 25.11.2022

Standpunkt von Dr. Immanuel Stieß

Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs sind nach Ansicht von Dr. Immanuel Stieß sowohl aus klimapolitischer Sicht als auch unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit positiv zu bewerten. Für den Forschungsleiter Energie und Klimaschutz beim Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) spielt dabei die „Wärmewende im Gebäudebestand“ eine Schlüsselrolle für eine klimaverträgliche und sozial gerechte Energiewende.

An der Bedeutung der Energiewende für das Erreichen der Klimaziele besteht kein Zweifel: Die drastische Reduzierung des Energieverbrauchs, der schnellstmögliche Ausstieg aus den fossilen Energieträgern Kohle, Öl und Gas sowie der massive naturverträgliche Ausbau der erneuerbaren Energien sind das Herzstück der Energiewende.

Ausbau der erneuerbaren Energien bisher nur in Teilbereichen auf dem richtigen Weg

Deutliche Fortschritte bei der Dekarbonisierung des Energiesystems wurden bislang vor allem bei der Stromerzeugung erreicht. Im Zeitraum von 2010 bis 2020 hat sich der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch in Deutschland mehr als verdoppelt und betrug im Jahr 2021 etwa 41 Prozent. Deutlich geringer ist der Anteil erneuerbarer Energien bei der Bereitstellung von Wärme und Warmwasser. Hier betrug der Anteil im Jahr 2021 lediglich 16,5 Prozent. Es dominieren weiterhin die fossilen Energieträger Heizöl und Gas.

Kostenanstieg fossiler Energie

Vor allem bei diesen Energieträgern sind die Kosten extrem angestiegen. Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft hatten sich bereits im Januar 2022 die Gaspreise für Haushalte gegenüber dem Vorjahresdurchschnitt fast verdoppelt, weitere Steigerungen sind absehbar. Auch der Preis für Heizöl lag im November 2022 doppelt so hoch wie in den Jahren zuvor. Diese gestiegenen Kosten wirken sich auf das Haushaltsbudget aus. Die Belastungen unterscheiden sich jedoch erheblich nach Höhe des Einkommens. Nach Berechnungen des Öko-Instituts mussten die zehn Prozent der Haushalte mit dem geringsten Einkommen bislang mehr als fünf Prozent ihres Budgets für Wärmeenergie ausgeben. Im Vergleich dazu beträgt der Anteil der Energiekosten bei den obersten zehn Prozent der Einkommen lediglich zwei Prozent. Eine Verdoppelung der Energiekosten führt im untersten Einkommensdezil demnach zu einer Kostenbelastung von zehn Prozent im Vergleich zu vier Prozent bei Haushalten der obersten Einkommensgruppe.

Dies zeigt sehr deutlich: Eine sozial gerechte Energiewende kann sich nicht allein auf das Thema Strom beschränken, sondern muss vor allem den Wärmebereich berücksichtigen.

Energiesuffizienz als Strategie

Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien rückt ein weiteres Schlüsselprinzip einer Energiewende erst langsam ins öffentliche Bewusstsein. Dabei geht es um Energiesuffizienz. Das bedeutet, den Bedarf an Energie zu senken. Energiesuffizienz verbindet viele Vorteile. Sie senkt die Energiekosten, macht energiepolitisch unabhängiger und unterstützt die Klimaziele.

Kurzfristig gelingt Energiesuffizienz durch Verhaltensänderungen, einfache technische Maßnahmen oder das Ordnungsrecht. Mittelfristig braucht sie Investitionen in Technik und Infrastrukturen, die eine sparsame Nutzung von Energie ermöglichen. Und sie erfordert eine Abkehr von energieintensiven Lebensstilen. Die Potenziale dafür sind bei Weitem nicht ausgeschöpft: Bei der Erzeugung von Wärme können beispielsweise kurzfristig Gas und Öl gespart werden, indem die Raumtemperatur und der Warmwasserverbrauch gesenkt, intelligente Thermostate angebracht, kontrolliert gelüftet und gegebenenfalls Heizungsanlagen hydraulisch abgeglichen werden. Mittelfristig geht es darum, die energetische Sanierung von Gebäuden und den Austausch fossiler Heizungsanlagen zu beschleunigen. Und da der Heizenergiebedarf auch von Größe der beheizten Wohnfläche abhängt, geht es auch darum, das Wachstum der Wohnfläche pro Kopf zu bremsen.

Ansätze zur Entlastung

Die oben dargestellten Auswirkungen des Anstiegs der Energiepreise auf Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen macht die Dringlichkeit einer Entlastung dieser Haushalte deutlich – auch unabhängig von Energie- und klimapolitischen Zielen. Dazu kommen grundsätzlich drei Wege in Betracht. Dies gilt für die aktuelle Energiepreisexplosion gleichermaßen wie für eine längerfristige Verteuerung fossiler Energien zum Beispiel durch eine CO2-Abgabe.

Eine Entlastung kann entweder durch eine Senkung der Energiepreise erfolgen, beispielsweise durch eine Senkung der Energiesteuer oder eine direkte Subventionierung der Energiekosten.

Oder das Haushaltsbudget wird erhöht, beispielsweise durch eine Ausweitung des Wohngeldes oder durch Zuschüsse, zum Beispiel für Familien mit Kindern oder für Studierende.

Und schließlich kann eine Entlastung durch Maßnahmen erfolgen, die den Energieverbrauch senken und die Energieeffizienz erhöhen, beispielsweise Verhaltensänderungen, eine Optimierung von Heizungen oder eine energetische Sanierung.

Unterschiedliche Wirkungen

Mit Blick auf eine sozial gerechte und naturverträgliche Energiewende sind diese Strategien unterschiedlich zu bewerten: Eine Senkung der Energiekosten wirkt auf alle Haushalte gleichermaßen. Sie entlastet also auch Haushalte mit höheren Einkommen, für die der Anstieg der Energiekosten keine gravierende Bedrohung darstellt. Da diese Haushalte häufig auch einen höheren Energieverbrauch aufweisen, ist die Kostensenkung für die Energiewende kontraproduktiv: Denn die Verbilligung der Energiekosten hat zur Folge, dass der Anreiz zum Energiesparen abgeschwächt wird.

Eine Erhöhung des Haushaltsbudgets kann dagegen stärker an sozialen Kriterien ausgerichtet werden, da die Zuschüsse nach Zielgruppen gestaffelt werden können, beispielsweise nach Einkommenshöhe oder nach der Anzahl der Kinder im Haushalt. Allerdings werden auch hier keine Anreize zum sparsamen Umgang mit Energie gesetzt.

Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs sind sowohl aus klimapolitischer Sicht als auch unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit positiv zu bewerten. Denn durch die Verringerung des Energieverbrauchs werden auch die Energiekosten reduziert.

Senkung des Energieverbrauchs durch einen Mix von Instrumenten

Wie eine Senkung des Energieverbrauchs bei Haushalten mit geringem Einkommen unterstützt werden kann, das zeigen Programme, die sich in der Vergangenheit bewährt haben. Förderprogramme für den Gerätetausch können beispielsweise die Anschaffung energieeffizienter Kühlschränke erleichtern. Die Abgabe von Durchflussbegrenzern für die Dusche kann Haushalte dabei unterstützen, ihren Warmwasserverbrauch und die damit verbundenen Energiekosten zu senken. Niederschwellige Beratungsangebote, wie der Stromsparcheck versetzen gering verdienende Haushalte in die Lage, Stromfresser zu identifizieren, und zeigen Möglichkeiten auf, wie sie durch eine bewusste Nutzung Energie sparen können. Solche Programme können auf weitere Zielgruppen übertragen und skaliert werden.

Komplizierter ist die Lage bei der Wärmeenergie. Zwar lohnen sich Investitionen in eine energetische Sanierung oder den Austausch einer fossilen Heizung, Zum Beispiel durch eine Wärmepumpe, angesichts hoher Energiekosten rascher als zuvor. Allerdings sind nicht alle Haushalte in der Lage, solche Maßnahmen umzusetzen, selbst wenn sie über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügen. Haushalte die zur Miete wohnen, haben keine Möglichkeit, das Heizungssystem oder die Energieeffizienz ihrer Wohnung grundlegend zu verbessern. Und dies betrifft vor allem Haushalte mit geringen oder mittleren Einkommen, da diese überwiegend zur Miete wohnen.

Zur Reduktion des Energieverbrauchs müssen daher Anreize geschaffen werden, damit Vermietende investieren, um ihre Gebäude energetisch zu ertüchtigen. Neben finanziellen Förderprogrammen zur Sanierung werden dazu eine Reihe von Instrumenten diskutiert, zum Beispiel eine anteilige Beteiligung der Vermietenden an der CO2 Abgabe für das vermietete Gebäude, die Einführung einer Sanierungspflicht für besonders energieverschwendende Gebäude oder die Verpflichtung beim Heizungstausch eine Heizung mit erneuerbaren Energien einzubauen.

Festzuhalten bleibt: Für eine klimaverträgliche und sozial gerechte Energiewende spielt die Wärmewende im Gebäudebestand eine Schlüsselrolle. Energiesuffizienz kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Sie darf aber nicht auf individuelle Verhaltensänderungen reduziert werden, sondern erfordert eine ermöglichende Infrastruktur sowie entsprechende rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen. Dies funktioniert nur, wenn die Politik dabei unterstützt.

Zur Person

Zu sehen ist Dr. Immanuel Stiess.
Dr. Immanuel Stieß, Bild: Harry Kleespies ISOE

Dr. Immanuel Stieß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des ISOE in Frankfurt am Main und leitet den Forschungsschwerpunkt Energie und Klimaschutz im Alltag. Er hat im Fachbereich Architektur, Stadt-, Landschaftsplanung der Universität Kassel promoviert und forscht zu Potenzialen und Hemmnissen für nachhaltige und CO2-arme Lebensstile und Alltagspraktiken.

 

 

 

 

 

Zum Weiterlesen

Thesenpapier Energiesparen als Schlüssel zur Energiesicherheit – Suffizienz als Strategie https://zenodo.org/record/6419202#.Y380MISZO70

Wie unterschiedlich Mieter:innen und Gebäude-Eigentümer*innen in Deutschland leben

https://blog.oeko.de/wie-unterschiedlich-mietende-und-gebaeude-eigentuemerinnen-in-deutschland-leben/

Energiepreiskrise: Wie sozialverträglich ist das Entlastungspaket der Bundesregierung?

https://blog.oeko.de/energiepreiskrise-wie-sozialvertraeglich-ist-das-entlastungspaket-der-bundesregierung/