Digitales Ehrenamt: Lernen von denen, die schon unterwegs sind

Digitalisierung im Quartier

Immer mehr Menschen unterstützen und beraten andere ehrenamtlich per Videokonferenz oder Chat. Dieses ehrenamtliche Engagement auf digitalem Weg trifft auf wachsenden Zuspruch und das nicht nur, weil in der Corona-Zeit andere Möglichkeiten oft versperrt sind. Doch wie lassen sich die Vorteile des Digitalen mit den Stärken der Hilfe vor Ort verbinden?

Ein Veranstaltungsbericht von Till Kiehne

„Das Ehrenamt ist ein Seismograph für gesellschaftliche Notlagen. Es ist persönlich und spontan.“, so beschrieb Pastorin Cornelia Coenen-Marx in ihrem Impuls die Bedeutung des Ehrenamtes bei der gemeinsamen Veranstaltung „Ich mache mit – Lokal und digital engagiert!“ der Evangelischen Akademie im Rheinland und der Evangelischen Erwachsenenbildung im Kirchenkreis an Sieg und Rhein. Daher überrasche es nicht, dass gerade in Krisensituationen viele  Hilfsangebote über Ehrenamtliche organisiert werden. Das haben bereits die vielen Initiativen bei der Ankunft der Geflüchteten im Jahr 2015 gezeigt und das bestätige sich jetzt wieder:  Auch aktuell würden Menschen wieder aktiv, um in der Corona-Pandemie andere zu unterstützen und dabei neue Wege gehen.

Der soziale Wandel beeinflusst auch das Ehrenamt
Denn wie in vielen Bereichen des Zusammenlebens gilt auch mit Blick auf ehrenamtliches Engagement: die Corona-Krise wirkt auf bestehende Trends wie ein Katalysator. Bereits vor die Krise zeigte sich, dass immer mehr Freiwillige sich selbst entweder digital oder über Agenturen organisieren.

„Das neue Ehrenamt ist projektförmig organisiert“ betont Cornelia Coenen-Marx in ihrem Impulsvortrag. Die Pastorin aus Hannover ist Geschäftsführerin der Agentur Seele und Sorge – Impulse, Workshops, Beratung und beschäftigt sich bereits seit langem mit Fragen des Ehrenamts. Gesellschaftliche Entwicklungen in der Familie, der Mobilität oder der Demographie machen neue, flexiblere Formen notwendig. Organisationen würden deshalb heute mit den Ehrenamtlichen oft Verabredungen Zeitrahmen, Fortbildung oder auch  Supervision schließen. „Die Ehrenamtlichen gehören den Institutionen nicht mehr.“

Institutionen bleiben wichtig
Dennoch blieben Institutionen wichtig, als Rahmen für neues ehrenamtliches Engagement, aber auch für bereits bestehende ehrenamtliche Initiativen. Man blicke auf eine zweigeteilte Entwicklung, so Coenen-Marx, denn parallel dazu „bleibt in Kirche, Parteien, Gewerkschaften das alte, langjährige Ehrenamt stabil.“ Doch für die Verantwortlichen in den Institutionen sei ein neues Rollenverständnis wichtig, das wahrnimmt, was sich in den Quartieren und Netzten tut, Selbstorganisation ernstnimmt und partnerschaftlich Räume, Wissen und Erfahrung zur Verfügung stellt. Gleichzeitig könne Kirche bei den Organisationsformen für das Ehrenamt von denen lernen, die schon unterwegs sind.

„Digitale Paten“ an Sieg und Rhein
Das zeigte sich eindrücklich in den auf den Impulsvortrag folgenden Berichten über digitale Ehrenämter aus der Region. Dr. Michaela Harmeier von der Freiwilligenagentur des Rhein-Sieg-Kreises beschrieb anschaulich, wie sie mit einer Gruppe von Ehrenamtlichen im vergangenen Jahr eine handlungsfähige Arbeitsgruppe auf die Beine stellte, um  Schülerinnen und Schülern digitale Unterstützung beim Homeschooling anzubieten. Vor dem Hintergrund technischer und organisatorischer Hürden sei es zunächst eine Allianz der Willigen und Fähigen gewesen, erläutert Frau Dr. Harmeier. Ein Konzept für digitale Lernpatenschaften wurde entwickelt und nach der gezielten Ansprache von Schulen in die Tat umgesetzt. Nun arbeiten sieben Lernpat*innen digital mit Schüler*innen, überwiegend aus den Jahrgangsstufen 9 und 10. Einer von ihnen ist Peter Schmitz, Ruheständler, der zwei Schülerinnen digital betreut und voller Elan von seinen Erfahrungen berichtet.

In Zukunft? Das beste von beidem!
Wie im Präsenzkontakt gebe es zwei Ebenen der Patenschaft, betont der ehemalige Vorstand eines großen Unternehmens. Da gebe es die Ebene der Wissensvermittlung diese sei kaum anders als bei einem Treffen vor Ort und obwohl man sich noch nicht analog begegnet sei. Manches gehe sogar schneller, weil keine Anreise nötig sei oder Dokumente digital bereitgestellt werden könnten. „Sparringspartner bei den Herausforderungen des Lebens sein“, nennt er die zweite Ebene. Bei Kontakten, die ausschließlich auf digitalem Wege aufgebaut würden, brauche dies mehr Zeit, doch allmählich würde Vertrauen wachsen. Wenn er die Wahl hätte, würde er in Zukunft eine Mischung digitaler und analoger Betreuung wählen.

Ähnlich sieht es auch Rudolf Verhülsdonk, ebenfalls im Ruhestand, den die Bilder von der Ankunft von Geflüchteten 2015 zum Ehrenamt gebracht haben. Seitdem gibt er Sprachunterricht. Zunächst habe er der digitalen Fortsetzung seines Unterrichts skeptisch gegenüber gestanden und sei unsicher in Bezug auf die Technik gewesen. Mittlerweile läuft es reibungslos und dennoch freuen sich der pensionierte Ingenieur und seine Schüler*innen darauf, wenn Begegnung in Präsenz wieder möglich ist – die persönliche Atmosphäre spiele eben auch eine wichtige Rolle.

In der anschließenden Diskussion wurden viele der Aspekte vertieft und Rückfragen gestellt. Eine junge Frau betonte, dass für sie ein digitales Ehrenamt eine Chance wäre, Betreuungsarbeit in der Familie und Ehrenamt mit einander in Einklang zu bringen. Andere unterstrichen, dass insbesondere ältere Menschen auch durch solche Angebote erreicht und eingebunden werden könnten. Gleichzeitig, betonte Dr. Harmeier, gelte für Ältere wie auch für manche Geflüchtete, dass oft schon der Internetzugang fehle oder ein geeignetes Gerät, um die Angebote wahrnehmen zu können. Digitale Teilhabe bleibe ein wichtiges Thema, auch bei ehrenamtlichen Angeboten.

Wir müssen Ohren sein
„Wir müssen Ohren sein, nicht selbst Bedarfe formulieren“, fasste Andrea Eisele von der Evangelischen Erwachsenenbildung im Kirchenkreis an Sieg und Rhein zusammen. Es gelte die Vorteile des Digitalen mit den Stärken des Analogen verbinden. Das sei eine gute Perspektive für das Ehrenamt.

In den kommenden Wochen wird die Reihe „Neues aus der Nachbarschaft – das Digitale zieht ein ins Quartier“ fortgesetzt. Wir freuen uns auf weitere spannende Diskussionen und Impulse, zur Frage wie sich das Zusammenleben im Sozialraum durch die Digitalisierung verändert.

Weiter Termine:

Kennen wir uns nicht …? Quartiersleben online
24. Februar 2021, 19:00 Uhr bis 21:00 Uhr

Das Dorfleben neu entdecken – digitale Impulse für ländliche Räume
17. März 2021, 19:00 Uhr bis 21:00 Uhr

Das Digitale ist da – wie geht es weiter im Quartier?
21. April 2021, 19:00 Uhr bis 21:00 Uhr