Ein Wohnzimmer für die Menschen im Viertel

Wie sieht die Zukunft unseres Zusammenlebens aus? Die Veranstaltungsreihe „Sondierungen zur Orientierung“ stellt diese große Frage anhand unterschiedlicher Aspekte des menschlichen Miteinanders. Im Fokus dieser Woche: Orte der Begegnung und dieses Mal vor allem Bibliotheken.

‚Ich verlasse mein Zuhause, komme an einen öffentlichen Ort und fühle mich wohl wie im heimischen Wohnzimmer.‘  Solche Rückmeldungen bekommt Dr. Hannelore Vogt , Direktorin der Stadtbibliothek Köln und eine der Gesprächspartner:innen des Abends, von den Besucher:innen der Bezirksbibliothek in Köln Kalk. Die Bibliothek in Kalk wurde geplant, entwickelt und gestaltet als so genannter „dritter Ort“. Projektleiter war Aat Vos , niederländischer Architekt sowie Creativ Guide und zweiter Gast in der Gesprächsrunde bei der Online-Veranstaltung am 26. Oktober 2021.

Was sind dritte Orte?

Der Begriff des dritten Ortes wurde vom amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg geprägt, der ihn vor gut 30 Jahren in den Diskurs einbrachte. „The Great Good Place“ nannte der das Buch, in dem er sein Konzept vorstellte. Wer den Titel wirken lässt, bekommt bereits einen Eindruck davon, um was es geht: Orte die Gutes ermöglichen. Oldenburg beschreibt dritte Orte als Orte der nachbarschaftlichen Begegnung, an denen neue Gemeinschaft entsteht. Neben den Orten der Familie und denen des Berufslebens sind sie Teil des sozialen Lebens und bieten einen Ausgleich zu den privaten und beruflichen Räumen.

Was zeichnet dritte Orte aus?

Diese nachbarschaftlichen Orte weisen für Oldenburg bestimmte Merkmale auf. Sie befinden sich beispielsweise auf neutralem Boden, sollen durch Offenheit Hierarchien verringern und zu Gespräch und Austausch anregen. Dritte Orte prägen die soziale Infrastruktur im Viertel, im Quartier und im Dorf und nehmen in einer Zeit der Individualisierung und des Rückgangs von gemeinschaftlichen Strukturen eine besondere Bedeutung ein. Ein häufiges Beispiel für solche Orte: Bibliotheken.

Sich ändern, um zu bleiben

Die Bibliothek von Dr. Vogt entspricht nicht dem angestaubten Bild einer Bibliothek als Hort des Wissens. Die Besucher:innen empfängt ein offenes Foyer, ein riesiger Stoffbär, auf dem Kinder klettern und in Büchern schmökern, sowie eine Kaffeebar zur Selbstbedienung an der Seite. Man kommt nicht umhin, Menschen zu begegnen. In der Mitte, an den Rändern und dazwischen: Bücher, Bildschirme und weitere Medien. Die Nutzung von Bibliotheken habe sich grundlegend verändert, berichtet Aat Vos, der in seiner Arbeit Aspekte der Architektur, des Marketings, des Designs und der Kommunikation verknüpft. Früher sei der Besuch in der Bibliothek „time well saved“ gewesen – gesparte Zeit auf dem Weg zu Wissen. In der heutigen Zeit, in der Wissen allverfügbar ist, komme den Bibliotheken eine andere Bedeutung zu. „Time well spent“ – gut verbrachte Zeit, zeichne den Besuch heute aus.

Bewusste und unbewusste Begegnung 

Das bewusste Erfahren oder auch unbewusste Genießen eines sozialen öffentlichen Raumes braucht Zeit. Gerade diese Zeit sei wichtig, beschreibt auch der Soziologe Eric Klinenberg in seinem Buch „Palaces for the People“, denn: „Soziale Infrastrukturen, die die Effizienz fördern, sind eher hinderlich für Interaktionen und die Bildung starker Bindungen.“ Orte der Begegnung können eine Abkehr vom eng getakteten Alltag sein.

Gelebte Begegnung 

Zitat von Klaus Backhaus über Dritte OrteWie erfahren wir diese Begegnung? Wo ist sie möglich? Diese Frage wurde nicht nur in der Online-Veranstaltung diskutiert, sondern wir haben sie auch vorab im Newsletter der Evangelischen Akademie an die Leser:innen gestellt und wir freuen uns über die Antworten, die beschreiben, wie dritte Orte gelebt und erlebt werden. Wie vielfältig dieses Erleben sein kann, zeigt beispielsweise die Antwort von Klaus Backhaus, der sich als Sprachpartner bei der AWO in Düsseldorf engagiert und uns geschrieben hat: „Mit meinem Gesprächspartner suche ich deshalb gerade Orte auf, wo wir mit „alltäglicher“ Sprache berührt werden. Dies ist die Vorhalle hier in der Stadtbücherei Düsseldorf.“ 

Und was denken Sie? 

Jede und jeder empfindet Orte der Begegnung anders. Lassen Sie uns über Ihre Perspektive ins Gespräch kommen: 

  • Was zeichnet für Sie einen Ort der Begegnung aus? 
  • Steht unsere auf Effizienz getrimmte Infrastruktur einer sozialen Infrastruktur im Weg? 
  • Kann es digitale dritte Orte geben? 

Schreiben Sie gerne eine E-Mail an till.kiehne@akademie.ekir.de. Wir sind gespannt auf Ihre Wahrnehmung und Position! 

Wie geht es weiter?

Die Veranstaltungsreihe „Sondierungen zur Orientierung “ ist eine Kooperation der Evangelischen Erwachsenenbildung im Kirchenkreis An Sieg und Rhein, dem Kreisdekanat Rhein-Sieg, dem Katholischen Bildungswerk Rhein-Sieg-Kreis, dem treffpunkt am markt, dem Katholisch-Sozialen Institut und der Evangelischen Akademie im Rheinland. Bis zum Ende des Jahres warten weitere spannende Termine auf Sie.

Am 16. November greifen die Veranstalter:innen das Thema „Begegnung“ erneut auf. Mit der „Community Organizerin“ Neele Behler und Paul Kowas, Projektmanager Public Sector bei nebenan.de, stehen dann Nachbarschaften im Fokus. Am 2. Dezember geht es um Glaube und neue Gemeindeformen. Zu Gast sind der Diakon Tobias Wiegelmann und der Pastor Samuel Coppes, mit dem Studienleiter Till Kiehne im vergangenen Jahr ein Akademiegespräch führte. Die Reihe endet mit einem Impuls von Akademiedirektor Dr. Frank Vogelsang , der am 14. Dezember über soziale Verbundenheit ins Gespräch kommt.