Generationen im Dialog: Franz Müntefering und Fiona Paulus diskutieren in Bonn

Till Kiehne: Tagungsrückblick "Gesellschaft aus dem Gleichgewicht?"

Das Verhältnis von Solidarität und Gerechtigkeit steht in der alternden Gesellschaft auf dem Prüfstand. Wie kann der demographische Wandel gerecht gestaltet werden? Welche Rolle spielen die unterschiedlichen Generationen? Wie kann gegenseitige Solidarität aussehen? Darüber diskutierten Franz Müntefering, ehemaliger Vize-Kanzler, und Fiona Paulus, Vorsitzende der Evangelischen Jugend im Rheinland, am 12. August 2021 in der Bonner Trinitatiskirche.

Fast sechzig Lebensjahre trennten die beiden Podiumsgäste des Abends. Auf Einladung der Evangelischen Akademie im Rheinland und des Evangelischen Forums Bonn trafen sich Franz Müntefering, ehemaliger Vize-Kanzler und heutiger Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinsam der Seniorenorganisationen (BAGSO), und Fiona Paulus, Vorsitzende der Evangelischen Jugend im Rheinland, zur Diskussion über die Rolle der eigenen Generation im sozialen Wandel.

Generationen sind nicht homogen

Steuern die Generationen auf einen Konflikt zu? Diese Frage wird aktuell in der gesellschaftspolitischen Debatte heiß diskutiert. Doch gleich zu Beginn der Diskussion zeigte sich, dass die konkrete eigene Verortung innerhalb einer Altersgruppe nicht immer leicht ist. „Ich habe erst einmal gegoogelt, zu welcher Generation ich gehöre,“ berichtete Fiona Paulus und relativierte gleichzeitig die gängigen Zuschreibungen an die Generation Z. Das Aufwachsen mit der Digitalisierung präge ihre Generation sicherlich, doch ließe sich daraus nicht unbedingt eine generell andere Denkweise ableiten, führte die Physik-Studentin aus. „Die Menschen sind auch in Generationen sehr unterschiedlich,“ unterstrich Franz Müntefering den für ihn zentralen Punkt. Natürlich sei seine Generation geprägt durch das Erleben des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit, aber dies habe nicht dazu geführt, dass eine homogene Generation entstanden sei.

Gräben sollten nicht künstlich gezogen werden

Die Unterschiede zwischen den Generationen seien nicht so tief wie andere Unterschiede in und zwischen den Generationen, beispielsweise der zwischen Arm und Reich, erläutert Müntefering. Aus diesem Grund gelte es, vorsichtig zu sein, wenn über das Verhältnis der Generationen gesprochen werde. „Bei allem, was in den Generationen ähnlich ist, muss man im Blick behalten, dass es immer um den einzelnen Menschen geht, weil man nicht vereinfachen kann und nicht dazu beitragen sollte, dass Vorurteile über Generationen entstehen.“  Für ihn gelte die persönliche Vernunft: „Wenn man als 81-jähriger spricht, hat man nicht recht, weil man 81 ist. Man hat aber auch nicht Unrecht, weil man 81 ist.“ Das Gleiche gelte für die Jugend. Es sei die geteilte Verantwortung der Vernünftigen in allen Generationen, die Zukunft der Gesellschaft gemeinsam zu gestalten.

Der demographische Wandel ist sichtbar

Veränderungen in der Altersstruktur der Gesellschaft lassen sich jedoch nicht von der Hand weisen und prägen das Wirken in Politik und Kirche.

Martin Engels und Fiona Paulus diskutieren in der Evangelischen Trinitatiskirchengemeinde in Bonn. Foto: Uwe Grieser
Martin Engels und Fiona Paulus. Foto: Uwe Grieser

„Ich stelle fest, dass es gerade in Gremien, aber auch politisch sowie kirchenpolitisch eine Altersstruktur gibt, die noch über dem Durchschnitt der Gesellschaft liegt,“ berichtet Fiona Paulus. Eine Jugendsynode, wie sie 2019 in der Evangelischen Kirche im Rheinland ausgerichtet wurde, sei ein wichtiger Schritt. Doch dass es notwendig gewesen sei, eine solche Sonder-Synode zu veranstalten, zeuge gleichzeitig davon, dass die Zusammensetzung von kirchlichen und weltlichen Parlamenten die Gesellschaft und die Stimme der Jugend nicht abbilden.

 

 

Solidarität lässt sich nicht verordnen

Soll die Zukunft gemeinsam gestaltet werden, brauche es jedoch mehr als politische Maßnahmen beschrieb Müntefering im Folgenden. „Der Staat muss Freiheit und Gerechtigkeit sichern so gut er kann. Solidarität sichern kann er nicht,“ so der ehemalige Vize-Kanzler. Solidarität ließe sich nicht verordnen, sie sei die Tugend der Menschen. „Demokratie muss auch eine Lebensform sein. Es kommt darauf an, wie wir leben. Ob wir auf einander achten, ob wir auf einander aufpassen, ob wir Solidarität üben gegenüber dem anderen.“ Diese Solidarität müsse organisiert werden. Die Kirchen, Gewerkschaften, aber auch das ehrenamtliche Engagement einzelner seien dafür von großer Bedeutung.

Kirche ist Organisatorin gelebter Solidarität

Zwar wird die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Kirche geringer werden, beschrieb Fiona Paulus dennoch trägt die Kirche zum Zusammenhalt in der Gesellschaft bei. Gelebte Solidarität sei tief in der Kirche verwurzelt: „Ich glaube es ist Kernkompetenz, und Aufgabe von Kirche, solidarisch zu sein“ Zentral dafür sei das gegenseitige Zuhören und Wahrnehmen „Die Frage ist nicht, ist da noch ein Stuhl frei?“ führte Paulus am Beispiel kirchlicher Gremien aus. „Sondern: Ist da Platz, um jemandem zuzuhören, damit sich jemand aus einer anderen Generation, mit einer anderen Lebensrealität einbringen kann?“

Lebenslange gesellschaftliche Verpflichtung

Wie steht es allgemein um die Forderung, dass die ältere Generationen Vertreter:innen jüngerer Generationen in den Gremien Platz machen sollt?

Franz Müntefering und Till Kiehne diskutieren in der Evangelischen Trinitatiskirchengemeinde in Bonn. Foto: Uwe Grieser
Franz Müntefering und Till Kiehne. Foto: Uwe Grieser

Franz Müntefering antwortete mit Blick auf zwei Aspekte. Das im Grundgesetz verankerte Recht sich einzubringen, erlösche nicht im Alter. Doch damit gehe auch eine Verantwortung einher: „Mit dem Eintritt ins Rentenalter bin ich nicht aus der Mitgliedschaft der Gesellschaft entlassen,“ führte Müntefering aus. „Solange du kannst, bist du verpflichtet deinen Teil beizutragen, dass es gelingt.“ Wandel in der Gesellschaft könne nur gelingen, wenn sich alle einbrächten – auch die über 60-jährigen. Aus diesem Grund gelte es gerade für die älteren Generationen, sich zu engagieren und den jungen Generationen zu zeigen, dass sie eine Meinung haben und diese auch vertreten, um Zukunft mitzugestalten. Dieser Verantwortung nachzukommen, hieße jedoch auch die begründete Kritik der jungen Generationen beispielsweise in der Klimafrage anzunehmen und Räume der Mitgestaltung zu öffnen.

 

Geteilte Verantwortung für die Zukunft

Diese Verantwortung sollten auch jungen Generationen wahrnehmen können, forderte Fiona Paulus mit Blick auf die nicht vorhandene Möglichkeit von Menschen unter 18 Jahren, sich bei Wahlen zu beteiligen. Doch das sei nicht das alleinige Problem. Vielmehr sein ein gesamtgesellschaftlicher Wandel notwendig: „Aktuell schaffen wir es alle nicht, unserer Verantwortung für nachfolgende Generationen nachzukommen.“

Hoffnung auf eine gute Zukunft

Trotz alledem gibt es für Paulus die Hoffnung auf eine gute Zukunft: „Ich hoffe darauf, dass wir die Situation als Chance nutzen und versuchen unsere Gesellschaft und unser Leben, so umzustellen, dass wir am Ende besser rausgehen, als wir reingegangen sind.“ Dafür gelte es im Kleinen und Großen Mitverantwortung zu übernehmen, ergänzte Müntefering. Diese Aufgabe läge bei allen Menschen und in die Demokratie als gelebte Verantwortung setze er seine Hoffnung.

Mit diesem Statement endete das von Martin Engels, Evangelisches Forum Bonn, und Till Kiehne, Evangelische Akademie im Rheinland moderierte Gespräch. Doch der Dialog zwischen den Generationen wird in weiten Formaten fortgeführt. Bereits am 14. September 2021 widmet sich eine Abendveranstaltung der Evangelischen Akademie im Rheinland der Frage, wie neue Wege der Mitbestimmung für junge Menschen gefunden werden können.

Mehr zum Dialog der Generationen:

Prof. Dr. Gerhard Bäcker:  Steuert die Rente auf einen Generationenkonflikt zu?

 

 

  • Till Kiehne (Studienleiter "Gesellschaftlicher Zusammenhalt")