Hoffnung durch Handeln

Ein Beitrag von Dr. Martin Horstmann

„Und ja, wir brauchen Hoffnung, selbstverständlich brauchen wir sie. Aber eines, was wir noch dringender brauchen als Hoffnung, ist Handeln. Wenn wir anfangen zu handeln, ist überall Hoffnung. Also: Anstatt nach Hoffnung zu suchen, sucht nach konkretem Handeln. Dann und erst dann kommt die Hoffnung“ (Greta Thunberg beim TEDx Stockholm am 19. November 2019 ).

Greta Thunberg dreht die gängige Sichtweise auf Hoffnung um. Sie sagt nicht: Lasst uns die Hoffnung stärken, dann können wir besser handeln. Sondern: Fangt an zu handeln, dann kommt die Hoffnung. Und sie dreht nicht nur die Reihenfolge um, sie verknüpft es auch kausal: Die Hoffnung entsteht aus dem Handeln. Hoffnung durch Handeln.

Die gut 70 Jahre ältere Tiefenökologin Joanna Macy sagt dasselbe: „Hoffnung durch Handeln “. Joanna Macy ist die Grande Dame der amerikanischen Friedens- und Umweltbewegung – und sie sagt es natürlich auf englisch: „Active Hope“.

Dr. Martin Horstmann. Bild: Hannes Leitlein

 Active Hope

Joanna Macy arbeitet seit Jahrzehnten mit Menschen, die sich in der Friedens- und Nachhaltigkeitsarbeit engagieren. Und sie musste immer wieder erfahren, dass diese Menschen von dem, was ihnen in ihrem Engagement an schrecklichen Nachrichten, Katastrophen und Widerständen begegnete, emotional überflutet wurden. „Wie kann ich dem Chaos standhalten, ohne verrückt zu werden“ – so lautet auch der deutsche Untertitel von Macys Hauptwerk. Wo ist da noch Hoffnung? Ja, wo kommt eigentlich die Hoffnung her? Wie entsteht sie? Im Laufe der Zeit haben sich die Erfahrungen Macys zu einem Konzept verdichtet. Sie nennt diesen Ansatz auch „Die Arbeit, die wieder verbindet“ , da genau dies ein wesentlicher Schritt ist, einen wirklichen Wandel herbeizuführen: sich wieder verbunden fühlen mit allem, was lebt, und sich mit Gleichgesinnten zu verbinden, um durch gemeinsames Handelen die Selbstheilungskräfte der Erde zu wecken.

Durch Peter Aschoff , einem unermüdlichen Blogger in der christlichen Szene, bin ich auf Joanna Macys Arbeit gestoßen. Und mittlerweile kann ich sagen, dass mich ihr Ansatz geprägt hat. Die Eckpunkte von „Active Hope“ will ich hier nun vorstellen.

Zweierlei ist für ihren Ansatz wesentlich: Die Wahl, wie wir den Lauf der Dinge sehen wollen („drei Geschichten über unsere Zeit“) und der eigentliche Prozess der verbindenden Arbeit („die Spirale der Arbeit, die wieder verbindet“).

Drei Geschichten über die Welt

Kurz gesagt gibt es drei Möglichkeiten, unsere Welt mit all ihren Krisen und Katastrophen zu sehen: Wir können so weiter machen wie bisher, eventuell mit der einen oder anderen kleinen Verbesserung. Wir können oder wollen dabei nicht sehen, dass sich etwas grundlegend ändern muss. Macy nennt dies „Business as usual“. Das ist die Das ist nunmal der normale Gang der Dinge-Geschichte. Die zweite Möglichkeit nennt Macy den „fortschreitenden Zerfallsprozess“. Hier sehen wir zwar sehr deutlich, was alles schiefläuft, aber die Krisen sind so gewaltig, dass wir uns ohnmächtig fühlen. Das ist die Alles geht den Bach runter-Geschichte. Die dritte Geschichte – und es ist die, um die es im Folgenden gehen wird – ist die Geschichte des „Großen Wandels“. Diese Ein anderes Leben ist möglich-Geschichte erzählt von der sozial-ökologischen Transformation. Dieser „Große Wandel“ findet zurzeit statt, jetzt – und wir sind mittendrin.

Alle drei sind Erzählungen, wie wir die Welt und uns darin sehen (wollen). Wir haben die Wahl, welche Geschichte wir erzählen. Das ist eine zentrale Erkenntnis und dahinter liegt ein ganz einfaches und sehr wirkungsvolles Prinzip: Das, worauf ich meine Aufmerksamkeit lenke, wächst. Letztlich ist es ein Prinzip, das man in den meisten geistlichen Übungen wiederfindet, allen voran im Gebet und in der Meditation. Ich habe es in der Hand, worauf ich meine Aufmerksamkeit lenke. Was ich füttere, wird groß.

Die Spirale von „Actice Hope“

Aber was tun, um aus dem „Business as usual“ auszusteigen und nicht der Geschichte vom „fortschreitenden Zerfallsprozess“ zu viel Glauben zu schenken? Wir kommen zum Kern von Active Hope. Joanna Macy hat im Laufe ihrer Arbeit einen Prozess entwickelt (oder entdeckt?), der aus vier aufeinanderfolgenden Schritten besteht:

  • Beginnen mit Dankbarkeit,
  • den Schmerz würdigen,
  • mit neuen Augen sehen,
  • und Weitergehen und Handeln.

Die vier Schritte ihrer Arbeit unterscheiden sich deutlich von gängigen Problemlösungsansätzen. Es ist ein Transformationsansatz, der gerade dadurch kraftvoll sein kann, wenn er mit spirituellen Traditionen verbunden wird. Joanna Macy entwickelt ihre Arbeit aus ihrem buddhistischen Hintergrund. Ich wiederum erkenne darin christliche Essentials. Das Wichtigste ist aber: Hoffnung durch Handeln ist eine Praxis, ein Tun.

Beginnen mit Dankbarkeit

Ausgangspunkt bei diesem Transformationsprozess ist nicht etwa die Bestandsaufnahme oder Analyse, sondern die Dankbarkeit. So merkwürdig es auf den ersten Blick erscheint, Dankbarkeit an den Beginn und nicht ans Ende der Arbeit zu stellen, so sinnvoll ist es. Denn sie steigert die Resilienz und kann öffnend wirken. Dankbarkeit kann Bitterkeit heilen, ist das Gegengift zu Groll, überwindet Anspruchsdenken und stärkt unser Zugehörigkeitsgefühl, so David Steindl-Rast.

Dankbarkeit ist zudem ein Gegenmittel zum Konsumismus. Und das ist in der Tat ein guter Ausgangspunkt für den „Großen Wandel“: „Dankbarkeit und Materialismus bieten unterschiedliche Geschichten darüber an, was wir brauchen, um uns sicher zu fühlen. Beim Materialismus beruht die Sicherheit darauf, die richtigen Dinge zu haben […]. Dankbarkeit verschiebt unseren Fokus von dem, was fehlt, zu dem, was da ist. Wenn wir eine kulturelle Therapie entwerfen sollten, die uns vor Depression schützt und gleichzeitig den Konsumismus im Zaum halten hilft, dann werden wir sicherlich die Kultivierung unserer Fähigkeit, Dankbarkeit zu empfinden, mit hineinnehmen. Uns zur Kunst der Dankbarkeit zu erziehen ist Teil des Großen Wandels“ (Macy/Johnstone, Hoffnung durch Handeln, S. 55).

Dankbarkeit ist eine universelle spirituelle Praxis – vielleicht sogar die einzige wirklich traditionsübergreifende – und damit ist sie eben auch eine christliche Praxis. Der schon erwähnte österreichisch-amerikanische Benediktiner David Steindl-Rast war für mich übrigens die Entdeckung, als ich nach christlichen Lehrern suchte, die sich mit Dankbarkeit beschäftigen. „Grateful Living“ ist Steindl-Rasts Lebensthema, sein Netzwerk ein Dorado an Ideen, Erfahrungen und Übungen .

Den Schmerz würdigen

Grundsätzlich versuchen Menschen, alles Negative – und erst recht Schmerz – zu vermeiden, entweder durch Bekämpfen, Weglaufen oder Betäuben. Gerne wird so getan, dass man sich möglichst (nur) mit Positivem umgeben solle, um resilienter zu werden. Doch das ist ein Trugschluss. Gerade die Mechanismen, dem Schmerz auszuweichen, sind auf lange Sicht oft ungesund.

Joanna Macy ermutigt: „Wir haben durchgängig die Erfahrung gemacht, dass die Menschen dann, wenn sie sich dem Strom ihres emotionalen Erlebens öffnen – sei es der Verzweiflung, Trauer, Schuld, Wut oder Angst –, das Gefühl haben, eine Last würde ihnen von den Schultern fallen. Auf der Reise in den Schmerz verlagert sich etwas Grundlegendes, es tritt eine Wende ein. Wenn wir in unsere Tiefe hinabtauchen, stellen wir fest, dass sie nicht bodenlos ist“ (Macy/Johnstone, Hoffnung durch Handeln, S. 74). Damit sind wir bei dem entscheidenden Punkt: Trauer hat eine verwandelnde Kraft. Doch damit diese Kraft wirksam werden kann, braucht es eine Kultur des Trauerns, die in unserem Mainstream kaum üblich ist.

Den Schmerz zu würdigen bedeutet zuzulassen, sich von ihm anrühren zu lassen – vom eigenen Schmerz und dem anderer – und hinzusehen. Ein christlicher Begriff dafür ist Compassion . Johann Baptist Metz, der diesen Begriff geprägt hat, nennt es auch die „Mystik der offenen Augen“.

Damit einher geht die Erkenntnis, dass alles miteinander verbunden ist. Dies ist ja ein Kerngedanke der Tiefenökologie, der sich etwas schwächer auch im Christentum findet – zumindest in mystischen und schöpfungsspirituellen Traditionen. Die Compassion und die Verbundenheit sind zentrale spirituelle Aspekte bei der Active-Hope-Spirale.

Was bräuchte es? Der Trauernde darf seine Trauer zulassen. Er darf sie zeigen, vor anderen, denn sie will gesehen werden. Vielmehr ist es nicht: Der eine zeigt, der andere sieht. Doch stattdessen ist es bei uns üblich, dass der eine die Tiefe des Schmerzes versteckt, und der andere tröstet. Trösten ist in erster Linie der Versuch, die Situation zu kontrollieren. Denn indem ich tröste, setze ich das Setting und reguliere damit, wie viel ich an mich heranlasse. Trösten mag gut gemeint sein, ist aber häufig unbewusster Selbstschutz. Und hilft oft nicht. Denn Trost kann nur erfahren, aber nicht gegeben werden.

Also: Es geht darum, auch dem Schmerz, der Trauer oder einfach der Traurigkeit Raum zu geben – und zwar nicht zufällig sondern bewusst. Dies ist ein wichtiger und guter Schritt und keine „Störung“. Und was ist mit der Angst, darin stecken zu bleiben? Macy sieht dies recht gelassen: Das, was emotional in uns hineinfließt, kann auch wieder herausfließen (S. 76). Die Trauer, die sich zeigt, kommt ja gerade von der Liebe für das, worum man trauert. Das ist das Gute.

Mit neuen Augen sehen

Nachdem man mit der Dankbarkeit begonnen und den Schmerz gewürdigt hat, kann nun der dritte Schritt der ActiveHope-Spirale kommen: Mit neuen Augen sehen. Joanna Macy nutzt dafür eine neue Sicht auf vier zentrale Aspekte in Transformationsprozessen: Zeit, Macht, Gemeinschaft und das Selbst. Ich verfolge hier eine etwas andere Spur.

Zunächst einmal ist es für mich immer wieder hoffnungsstärkend zu erkennen: Nichts beginnt bei null. Allerorten gibt es bereits Anfänge, und seien sie noch so klein. Ich muss sie nur suchen, finden – und aufgreifen. Christlich gesprochen könnte man darin auch die Dynamik von „schon“ und „noch nicht“ sehen. Gemeint ist damit das Reich Gottes, das schon angebrochen, aber eben noch nicht vollendet ist. Ich mag diesen Gedanken. In diesem Zusammenhang sind auch viele Gleichnisse Jesu hoffnungsvoll, allen voran das vom Senfkorn : Aus Kleinem kann Großes werden. Beides entspricht meiner Erfahrung. Nicht immer, aber immer wieder.

Oft kommen wir nicht auf Neues, weil wir dem Neuen gar keinen Raum geben. Dann können wir es halt auch nicht sehen. Wir suchen permanent Ablenkung oder denken, dass wir Impulse oder Inspiration von außen brauchen. Und so können wir gar nicht bemerken, was bereits in uns ist.

Die einfachste und wirkungsvollste Intervention ist daher: Einfach mal nichts tun. Und das aushalten, ohne sofort wieder in die Ablenkung zu springen oder Inspiration von außen zu suchen. Genau genommen ist es nicht „nichts tun“, sondern ein „nicht Tun“, ähnlich dem daoistischen wu wei . Der Trick dabei ist: Wenn Dankbarkeit und Schmerz wahrgenommen wurden, Raum bekommen haben und an ihren rechten Platz gerückt wurden, dann wird in diesem dritten Schritt nicht „nichts“ sein, sondern es wird sich etwas zeigen. Ganz gewiss.

Werfen wir noch einmal einen Blick auf die ersten beiden Schritte: Das, wofür man dankbar ist, deutet auf erfüllte Bedürfnisse hin und das, worüber man trauert, deutet auf unerfüllte Bedürfnisse hin. Da man sich also schon intensiv mit den betroffenen Bedürfnissen beschäftigt hat – auch ohne dies so zu nennen – könnte man im dritten Schritt damit fortfahren. Welche unerfüllten Bedürfnisse sind aufgetaucht? Und gibt es statt der bisherigen, nicht gelingenden Bedürfniserfüllungsmaßnahmen ganz andere Ideen, Lösungen oder Strategien, um sie zu befriedigen? Auch das kann eine Art des „Sehen mit neuen Augen“ sein.

Weitergehen und Handeln

Erst jetzt kommt der Schritt, sich um das „Hinkriegen“ zu kümmern. Dazu gehört es, die eigene Absicht zu klären und die Unterstützung aufzubauen, die man braucht.  Die wesentlichen Unterstützungsarten sind Wissen (Welches Wissen brauchen ich?), Rüstzeug (Welche Fähigkeiten, Methoden und Tools brauche ich?) und andere Menschen (Wer sind meine Gefährten? Welche Verbündeten brauche ich? Und wo finde ich diese Menschen?)

Das weist auf etwas Wesentliches hin: Es geht nicht allein! Macy nennt ihren Ansatz schließlich auch „Die Arbeit, die wieder verbindet“ – und das meint eben auch, kollektiv unterwegs zu sein.

Hoffnungsarten

Was hat all das nun mit Hoffnung zu tun? Zum einen sind mit den „drei Geschichten“ verschiedene Arten von Hoffnung verbunden. Die Hoffnung in der Geschichte vom fortschreitenden Zerfall ist die Hoffnung auf Rettung. Das Einzige, was jetzt noch helfen kann, ist gerettet zu werden. Eine Macht außerhalb von uns muss es richten. In der Geschichte vom „Business as usual“ kommt eine andere Art von Hoffnung vor. Es ist die Hoffnung, dass es besser sein könnte – und genau das hilft uns, im Hamsterrad des Immer-weiter-so von einem Tag zum nächsten zu kommen. Ehrlich gesagt scheint es eher eine ablenkende Hoffnung zu sein. Sie gibt uns immer so viel Hoffnung, dass wir nicht völlig verzagen und somit weiterhin dieser Geschichte treu bleiben. In der Geschichte vom Großen Wandel rückt die Hoffnung schließlich an eine andere Stelle: sie stellt sich ein durchs Tätigsein. In diesem Schaubild ist dies noch einmal zusammengefasst.

Eine Grundfrage ist also: Hoffe ich auf äußere Wirkkräfte oder beteilige ich mich daran, das herbeizuführen, was ich erhoffe? Und wie kann ich mich beteiligen? In dem ich mich nicht verausgabe im Hamsterrad des „Business as usual“ oder verkämpfe im Teufelskreis des „fortlaufenden Zerfalls“, sondern in dem ich die Spirale von Joanna Macys Arbeit durchschreite: Beginnen mit Dankbarkeit, den Schmerz würdigen, mit neuen Augen sehen, um schließlich weiterzugehen und zu handeln.

 

Zur Person:
Dr. Martin Horstmann ist Studienleiter an der Melanchthon-Akademie des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region und zuständig für die Fachbereiche Engagement und Spiritualität. Er studierte Sozialarbeit und Diakoniewissenschaft und arbeitete zuvor als Dozent für Diakonie in Bethel. Die Evangelische Bildungsstätte für Diakonie und Gemeinde in Bielefeld, wo er Dozent für Diakonik war, und das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD in Hannover waren weitere berufliche Stationen.

 

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