Was braucht eine sozialverträgliche Klimapolitik?

Die mit der Klimapolitik einhergehende Nachhaltigkeitsstrategie müsse das Verständnis davon erweitern, was wirtschaftlich und sparsam ist, fordert Dr. Friederike Mussgnug vom Zentrum Recht und Wirtschaft der Diakonie Deutschland. In einem „Standpunkt‟ verbindet sie das Plädoyer für ökologische Teilhabe von Menschen mit geringen Einkommen und eine klimaneutrale soziale Infrastruktur.

Von Dr. Friederike Mussgnug

Klimaschutz ohne neue soziale Härten

Mit dem Anliegen einer sozialverträglichen Klimapolitik verbinden sich zwei Herausforderungen unserer Zeit: Zum einen brauchen wir einen wirkungsvollen Klimaschutz. Zugleich brauchen alle Bürgerinnen und unabhängig ihrem individuellen Einkommen besseren Zugang zu nachhaltiger Energie und Ressourcen. Gerade für Menschen, die bereits jetzt in Armut leben, dürfen die Anforderungen des Klimaschutzes keine neuen sozialen Härten mit sich bringen. Regierung und Gesetzgeber müssen deshalb ihre Klimapolitik im Einklang mit dem Sozialstaatsprinzip gestalten.

Zwei Gedanken verdeutlichen diese Anliegen an eine sozialverträgliche Klimapolitik:

Ökologische Teilhabe von Menschen mit geringem Einkommen: Eine sozialverträgliche Klimapolitik, die alle an der ökologischen Wende und klimaschonendem Verhalten teilhaben lässt, zielt nicht allein auf Ressourceneinsparungen. Auch in Deutschland fehlt es Menschen in Armut oft am Nötigsten. Daher sind Zugänge zu erneuerbaren Energien, klimasparenden Geräten oder klimasanierter Wohnraum zentrale sozialen Anliegen an die Klimapolitik. Das von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag in Aussicht genommene Klimageld als sozialer Ausgleich geht in die richtige Richtung. Die Diakonie Deutschland hat in einem Bündnis mit der Klima-Allianz weiter gedacht und schlägt eine Klima-Prämie vor.

CO2-Verbrauch niedriger in ärmeren Haushalten

Auch bei der Bepreisung der beim Heizen und dem Autofahren entstehenden CO2-Emissionen besteht Handlungsbedarf. Die Bepreisung und die damit verbundenen Kosten schaffen Anreize, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. In Haushalten ist CO2-Verbrauch unvermeidlich und er nimmt mit der Zahl der stromverbrauchenden Geräte zu. Dies lässt sich auch statistisch nachweisen. Der CO2-Fußabdruck, also die gesamten CO2-Emissionen einer Person, ist in Haushalten mit geringem Einkommen kleiner als bei Haushalten mit größerem finanziellem Spielraum für Haushaltsgeräte, Unterhaltungstechnik und mindestens ein Auto, denn auch in einer energiesparenden Ausführung summiert sich der CO2-Verbrauch allein durch die Menge dieser Geräte. Diesem nachweislich geringeren CO2-Gesamtverbrauch von ärmeren Haushalten muss eine Entlastung bei der CO2-Bepreisung entsprechen. So würde ein monatlich pro Kopf ausgezahltes Klimageld Menschen in Armut überproportional helfen, während die CO2-Bepreisung wohlhabendere Haushalte weiter zum Energiesparen angehalten werden.

Die Kosten für die CO2-Bepreisung oder notwendige Sanierungen von Wohnraum dürfen die Mieten nicht so verteuern, dass diese für Menschen mit geringem Einkommen unerschwinglich werden. Hier hat die Gestaltung des Wohngeldes bereits wichtige Schritte unternommen, die es konsequent fortzusetzen gilt. Wichtig ist auch eine Unterstützung bei Heizkosten. Energetische Sanierungen erhöhen in der Regel die Nettokaltmieten. Eine Unterstützung bei der Zahlung der Kaltmiete und die Anerkennung energetischer Standards als angemessene Bestandteile der Heizkosten stellen sicher, dass energetisch sanierter Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen bezahlbar bleibt.

Billigprodukte: weder ökologisch noch ökonomisch

Zudem gilt es, die Grundannahmen für die Bemessung des ALG II und vergleichbarer Leistungen zu überprüfen. Bislang müssen ALG II-Berechtigte bei der Anschaffung von Haushaltsgeräten oder der Auswahl von Stromanbietern jeweils die kostengünstigsten Geräte oder Anbieter nehmen. Diese allein am Kaufpreis ausgerichtete Vorgabe greift zu kurz, denn sie lässt unbeachtet, dass die Langzeitfolgen einer solchen Billig-Anschaffung weder ökologisch noch ökonomisch nachhaltig sind. Eine Kurskorrektur an dieser Stelle stellt zudem sicher, dass staatliche Mittel zur Existenzsicherung nachhaltige Anschaffungen und nicht emissionsintensive Billigprodukte finanzieren.

Klimaneutrale soziale Infrastruktur: Neben Sozialleistungen für Einzelpersonen in Not ist die Sicherstellung einer nachhaltigen sozialen Infrastruktur ein weiterer Baustein des Sozialstaats und stellt zum Beispiel Kindergärten, Pflege aber auch Beratung in schwierigen Lebenslage bereit. Diese Arbeit braucht Orte, an denen und Materialien, mit denen sie stattfinden kann. Damit stellt sich für Unternehmen der Sozialwirtschaft die Frage, wie sie Immobilien und Materialien nachhaltig und klimaneutral gestalten bzw. beschaffen können.

Nachhaltige Gestaltung der sozialen Arbeit

Aus ihrer Verantwortung für die Schöpfung hat sich die Diakonie Deutschland das Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu arbeiten. Um dieses Ziel zu erreichen, sind erhebliche Investitionen notwendig, zum Beispiel um genutzte Gebäude klimaeffizient zu sanieren oder um die Fahrzeuge eines ambulanten Pflegedienstes auf E-Mobilität umzustellen. Da das Steuerrecht die Spielräume für das Ansparen von Rücklagen beschränkt, können gemeinnützige Einrichtungen Investitionen in solchen Größenordnungen nicht ohne weiteres finanzieren, sondern sind auf Förderprogramme angewiesen, von denen es bereits einige gibt. Allerdings bleibt der Förderbedarf proportional zu den Aufgaben groß.

Eine weitere Herausforderung ist es, in den sanierten Anlagen die soziale Arbeit nachhaltig zu erbringen. Klimaneutrale Energieversorger, die nachhaltige Beschaffung und Reinigung von Arbeitskleidung und Wäsche oder das Angebot von Bio-Essen in Pflegeheimen oder Kitas sind im Vergleich mit anderen Angeboten kostspieliger, was bei deren Finanzierung derzeit Schwierigkeiten bereitet. Maßstab für diese Finanzierung aus Versicherungsbeitrags- oder Steuermitteln sind die Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Die mit der Klimapolitik einhergehende Nachhaltigkeitsstrategie muss das Verständnis davon erweitern, was wirtschaftlich und sparsam ist. Sozialverträgliche Klimapolitik bedeutet auch, bei der Vergütung sozialer Dienstleistungen der Einsicht Geltung zu verschaffen, dass ökonomische, soziale und ökologische Nachhaltigkeit legitime und notwendige Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit sind.

Zur Person

Dr. Friederike Mussgnug ist  Sozialrechtlerin bei der Diakonie Deutschland im Zentrum Recht und Wirtschaft . Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind die rechtlichen Belange von Frauen und Familien, aber auch die Position von Sozialunternehmen im Wettbewerb. Ein besonderes Anliegen ist es dabei, dass diakonische Einrichtungen für ihre nachhaltige Arbeit eine rechtssichere und angemessene Finanzierung erhalten.

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