Ökologie und Soziales gehören zusammen!

Standpunkt von Ulrich Petschow und Helen Sharp

  • 8.11.2022

Ohne die Lösung der Verteilungseffekte und der gesellschaftlichen Ungleichheiten sei die Bewältigung der vielfältigen Krisen nicht denkbar, erklären Ulrich Petschow und Helen Sharp vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). In einem „Standpunkt“ erläutern sie, dass Gerechtigkeits-, Klima- und Biodiversitätsfragen in einem engen Zusammenhang stehen.

„Environmental Problems are Problems of social organisation“ (1). Umweltprobleme sind Probleme der sozialen Organisation, diese Aussage, die die enge Verknüpfung von Sozialem und Ökologischem hervorhebt, hat Richard B. Norgaard vor bereits fast drei Jahrzehnten getroffen und sie ist weiterhin höchst aktuell.

Wirtschaftliche Dynamik – ökologische Dramatik

Mit der industriellen Revolution, der zunehmenden Nutzung fossiler Energien (Kohle) und insbesondere in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (Öl) wurden Entwicklungsprozesse ausgelöst, die zu einem enormen Wirtschaftswachstum, aber gleichzeitig auch zu massiven Treibhausgasemissionen sowie einem stetig zunehmenden Raubbau an der Natur geführt haben. Diese Parallelität von wirtschaftlicher Entwicklung und materiellen, gleichwohl ungleich verteilten, Wohlstand einerseits und zunehmender Degradation der Umwelt andererseits ist ganz wesentlich Ergebnis eines Phänomens, welches Umweltökonomen die „Externalisierung von (sowohl ökologischer als auch sozialer) Kosten nennen.

Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme auf dauerhafte Expansion ausgestaltet: Infragestellung des Fortschrittsversprechens der Modern

Für die Dysfunktionalität gegenwärtiger Mensch-Natur-Beziehungen spielt aber auch ein weiterer struktureller Faktor eine zentrale Rolle: Die kapitalistische Produktionsweise ist in ihrem Kern eine expansive, d.h. ihr Funktionieren basiert auf dem stetigen Generieren immer weiteren Wachstums. In der Konsequenz bedeutet dies, dass durch die Externalisierung nicht nur ungehemmter Raubbau an der Natur stattfinden konnte, sondern durch die expansiven Anreize des Systems verstetigt wurde und wird. Es hat sich ein industrielles Entwicklungsmodell herausgebildet, welches weit über die westlichen Staaten hinaus zu einem Leitbild geworden ist.

Dies mit der Folge, dass mittlerweile das Anthropozän (2) ausgerufen wird, also die Feststellung, dass die Menschheit und insbesondere die etablierten sozialen Systeme, eine derartige Wucht entfaltet haben, dass sie zum geologischen Faktor geworden ist und damit zentral dafür verantwortlich sind in welcher Umwelt wir leben. Einfacher formuliert: Mit den tiefen Eingriffen in das Klima und die Natur schaffen die Menschen selbst die Umwelt, in der sie leben und leben werden. Mit der Vorstellung eines Anthropozäns ist allerdings nicht verbunden, dass nunmehr die Herrschaft des Menschen über die Natur etabliert ist, vielmehr stellen wir gegenwärtig fest, dass das Anthropozän, durch die fundamentale Destabilisierung von (Natur-) Prozessen (Klimawandel, Zerstörung der Biodiversität) im Gegenteil durch große Unsicherheiten bzw. gar Nicht-Wissen über die weiteren Entwicklungen geprägt ist: Dürre in Deutschland war lange nicht vorstellbar und stellt nunmehr ein Teil des neuen Normal des Anthropozäns dar. Für eine nachhaltige Entwicklung wird es darum gehen, dass die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen und deren kollektive Beziehung zur materiellen Welt neu gestaltet werden müssen.

Das Fortschrittsversprechen der Moderne war und ist noch immer eng mit der Externalisierung von sozialen und ökologischen Dimensionen verbunden und ist in der Bedingtheit nicht zukunftsfähig. Die Verallgemeinerung des Entwicklungsmodells kann nur in weiteren sich beschleunigenden sozialen und ökologischen Krisen münden. Der derart definierte Fortschritt bestimmt allerdings weiterhin unser Handeln und erst langsam und mühsam setzen sich Vorstellungen von neuen Entwicklungsmodellen durch.

Verteilungsdimensionen der Folgen der Umweltdegradierung und der Dekarbonisierung

Die Effekte der Ressourcennutzung und der Umweltbelastungen sind globaler Natur und eng verbunden mit sozialen Effekten. Die Verteilungseffekte gehen zulasten der ärmeren Bevölkerungsschichten, die bei Weitem stärker von den Folgen der Umweltdegradation betroffen sind, sei es im Norden, wo die Betroffenheit von Umweltbelastungen in benachteiligten Gebieten deutlich größer sind, sei es im globalen Süden, wo die Staaten vom Klimawandel besonders betroffen sind, die für den Klimawandel am wenigsten verantwortlich sind, wie es aktuell bei den Überschwemmungen in Pakistan deutlich wird.

Ein besonderes Spannungsverhältnis ergibt sich zudem daraus, dass Maßnahmen der Mitigation mit weitreichenden Strukturwandelsprozessen verbunden sind, die insbesondere auch zulasten der Arbeiter und Angestellten gehen können. „Just transition“ ist von daher ein wichtiges Anliegen der Gewerkschaften und muss eines der Sozial- und Wohlfahrtsverbänden sein. Letztere sollten auch darauf fokussieren, dass es nicht allein um Kompensation (Energiegeld) gehen kann, sondern um die Integration von benachteiligten Menschen in die Entwicklung neuer inklusive Gesellschaftsstrukturen gehen muss.

Und natürlich: Das größte Spannungsverhältnis besteht sicherlich darin, wie Entwicklungschancen für die Länder des globalen Südens eröffnet oder gesichert werden und mithin ein fairer Lastenausgleich zwischen Nord und Süd hergestellt wird. Zugleich sollten neue Entwicklungsmodelle generiert werden, die über das „Nachholen“ hinausgehen müssen („unterschiedliche aber gemeinsame Verantwortung“): Gerechtigkeits-, Klima- und Biodiversitätsfragen sind mithin eng miteinander verbunden und müssen letztlich gemeinsam gelöst werden. Die Zukunftsversprechen der Moderne können nur noch dekarbonisiert oder breiter gefasst in den planetaren Grenzen gedacht werden und können nicht mehr auf radikaler sozialer und ökologischer Externalisierung beruhen.

Die Nachhaltigkeitsdiskussion hat diese Dimensionen bereits frühzeitig in den Blick genommen und darauf hingewiesen, dass die intra- und intergenerationale (Un-)Gerechtigkeit in den Fokus genommen werden muss, um aus der schweren Krise der Gegenwart herauszuführen. Und diese Verteilungseffekte sind sehr konkret: Das Bundesverfassungsgericht hat es in seinem Klima-Urteil plakativ verdeutlicht. Vor dem Hintergrund des noch für Deutschland zur Verfügung stehenden Treibhausgas-Emissionsbudgets wird die Frage der intergenerationalen Verteilungsgerechtigkeit adressiert: Die zunächst anstehenden Lasten der Emissionsminderung müssen gerechter verteilt werden und dürfen nicht auf zukünftige Generationen verschoben werden, deren Freiheit damit infrage gestellt würde.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die sozialen und ökologischen Dimensionen längstens miteinander verbunden sind und immer weniger voneinander getrennt gedacht werden können: Die Klimakrise hat massive Verteilungswirkungen, wobei die Lasten überwiegend von denjenigen getragen werden, die am wenigsten zu den Emissionen beigetragen haben, die Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrisen geht wiederum zulasten der ärmeren Regionen und hat damit wiederum selbst Verteilungseffekte. Ohne die Lösung der Verteilungseffekte und der gesellschaftlichen Ungleichheiten sind die Bewältigung der vielfältigen Krisen nicht denkbar; dies gilt sowohl im Verhältnis zwischen dem Norden und dem Süden und zugleich dem Verhältnis zwischen Arm und Reich in den einzelnen Staaten. Die Transformationsprozesse müssen Soziales und Ökologisches zusammengedacht und handlungsorientiert umgesetzt werden

 

Anmerkungen

(1) Norgaard, Richard, B. (1994): Development Betrayed. The End of Progress and a Co-Evolutionary Revisioning of the Future. Routledge

(2) Vielfach wird auch statt auf das Anthropozän auf das Kapitalozän verwiesen, welches auf die bedeutende Kraft des Kapitalismus und insbesondere die Machtverhältnisse verweist. Aus unserer Sicht ist dies allerdings nur „ein“ Teil der Geschichte. Auch in den früheren sozialistischen Staaten hat sich im Rahmen der ökonomischen Modernisierung letztlich ein ähnliches industrielles Leitbild mit ähnlichen Konsequenzen herausgebildet.

 

Zu den Personen 

Ulrich Petschow Diplom-Volkswirt Ulrich Petschow arbeitet seit 1989 am IÖW in Berlin. Er ist aktuell Themenkoordinator „Innovationen und Technologien“ und Wissenschaftlicher Mitarbeiter für „Umweltökonomie und Umweltpolitik“.

 

 

Helen ScharpPolitikwissenschaftlerin Helen Sharp arbeitet seit 2018 im Forschungsfeld „Umweltökonomie und Umweltpolitik“ des IÖW. Zu ihren Schwerpunkten zählen unter anderem sozial-ökologische Transformationsbündnisse und Bündnispotentiale.

 

 

Mehr zum Thema:

Tagung „Klima – Arbeit – Armut – ein (un)auflösbares Dilemma?“ am 8. und 9. Dezember in Bonn und online.