Rechtsextremismus: Kirche ist kein neutraler Ort

Claudio Gnypek plädiert für eine deutliche Haltung von Christinnen und Christen gegen Rechtsextremismus.

Was tun als Kirchengemeinde, wenn sich im Stadtteil Rechtsextremisten als Bürgerwehr organisieren? Schaffen ihnen Proteste nur ungewollte Aufmerksamkeit? Vor diesen Fragen stand man vor vier Jahren im Essener Stadtteil Steele. Inzwischen hat sich unter dem Dach der evangelischen Kirche ein Runder Tisch gebildet.

Von Claudio Gnypek

„Wir sollten als Kirche politisch neutral bleiben“. Auf die Anfrage, ob das Gemeindezentrum für eine Diskussion zum Thema Rechtsextremismus im Stadtteil genutzt werden darf, reagierte der Kirchenvorstand zurückhaltend. Ist die evangelische Gemeinde der richtige Ort, um über Probleme mit Nazis im Stadtteil zu streiten? Vor vier Jahren tauchte im Essener Stadtteil Steele erstmals eine Bürgerwehr auf. Plötzlich marschierte wöchentlich eine Gruppe von 50 bis 80 schwarz gekleideten Männern durch die Fußgängerzone. Sie nennen sich die „Steeler Jungs“ und geben sich unpolitisch. Doch wer genauer hinschaut oder sie in den sozialen Medien sucht, erkennt, dass es sich um Rechtsextremisten handelt. Hakenkreuze und Hitlergrüße markieren ihre politische Einstellung.

„Steele bleibt bunt“ statt rechter Bürgerwehr

Einige Bürgerinnen und Bürger wollen das nicht unkommentiert lassen, sie gehen auf die Straße und organisieren einen Gegenprotest. Unter dem Motto „Steele bleibt bunt“ gründet sich eine Bürgerinitiative, bei der sich auch Mitglieder der evangelischen Gemeinde engagieren. Auch Pfarrerinnen und Pfarrer nehmen an den Kundgebungen der Bürgerinitiative teil. Doch die Proteste geraten in die Kritik. Sie würden die Rechtsextremisten erst aufwerten und sie wichtiger nehmen als sie seien, wird argumentiert. Nicht alle sehen in einer rechten Bürgerwehr ein Problem. Die Männer und ihre Familien sind im Stadtteil bekannt, einige leben schon seit Generationen in Steele. Können solche Menschen Nazis sein?

Auf das Kulturzentrum, dass sich klar gegen rechts positioniert wird geschossen, die Moschee erhält eine Bombendrohung und wird von der Polizei geräumt. Engagierte Bürgerinnen und Bürger werden auf offener Straße von den „Steeler Jungs“ bedroht. Um die Ecke ihrer Stammkneipe machen einige Menschen mittlerweile lieber einen großen Bogen. Im Bericht des Verfassungsschutzes NRW wird die Bürgerwehr als rechtsextreme Mischszene beschrieben.

Klar und sichtbar abgrenzen

Gemeinsam mit den Kirchengemeinden veranstaltete die Bürgerinitiative eine Podiumsdiskussion, um mit Expertinnen und Experten aus Politik und Zivilgesellschaft über die Situation im Stadtteil zu sprechen. Das Problembewusstsein in Steele wird größer. Nach drei Jahren mit vielen Protestaktionen, Diskussionen und Kulturveranstaltungen gründete sich unter dem Dach der evangelischen Gemeinde der Runde Tisch Steele. Hier kommen Vertreterinnen und Vertreter der Bezirkspolitik, der Sportvereine, Bürgerinitiativen, der Kirchen und Moscheevereine zusammen, um in einen Dialog zu treten. Auch wenn es noch schwerfällt, das Problem mit der Bürgerwehr zu benennen, bewegt sich etwas.

Über Rechtsextremismus sprechen wir in der Kirche nur ungern, besonders wenn es um eine konkrete Gruppe im Stadtteil geht. Doch gerade in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit Rechten ist es wichtig, sich klar und sichtbar abzugrenzen. Das ist notwendig, damit Sympathisantinnen und Sympathisanten sowie potenzielle Mitläuferinnen und Mitläufer abgeschreckt werden. Menschen, die sich nicht mehr trauen, an bestimmte Orte in Steele zu gehen, dürfen nicht das Gefühl bekommen, dies sei ihr persönliches Problem. Wenn wir als Christinnen und Christen keine deutliche Haltung zeigen, lassen wir die Opfer rechter Gewalt allein und überlassen den Raum denen, die lauter sind. Wo sollte unser Ort in einer Stadt sein, welchen Menschen gilt unsere Solidarität und für wen sind wir als Kirche da?

Autor

Claudio Gnypek engagiert sich in Essen im „Bündnis Mut machen – Steele bleibt bunt“ . Hauptberuflich ist er Referent für entwicklungspolitische Bildung beim Rheinischen Dienst für Internationale Ökumene (Region Westliches Ruhrgebiet) .

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